Neue Musik und Neo-Noir: Martin Scorseses Shutter Island
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https://doi.org/10.59056/kbzf.2012.8.p200-230Schlagworte:
Filmmusik, Neue Musik, Shutter Island, Neo-NoirAbstract
In ihrem achten gemeinsamen Film, dem Psychothriller SHUTTER ISLAND (USA 2010) bedienen sich Regisseur Martin Scorsese und Music Editor Robbie Robertson, auch aus Gründen persönlicher Wertschätzung, klassischer autonomer Musik der Moderne und Postmoderne. Diese Werke werden, neben Gustav Mahlers frühem Klavierquartett in a- Moll, äußerst differenziert eingesetzt: Die als Horror-Idiom im Film etablierte Musik György Ligetis und Krzysztof Pendereckis sowie das affektive Potential des Klavierquartetts (Molltonart, Abwärtsgestus, indirekte Thematisierung der Biographie Mahlers) erfüllen eine rezeptionslenkende, illusionsbildende Funktion. Sie lösen genrespezifische Erwartungshaltungen aus und generieren emotionale Zustände, die sich in der Rückschau als »Rote Heringe«, als Täuschungsmanöver erweisen. Dem gegenüber erzeugen im Spielfilm bisher weniger verwendete Kompositionsstile des 20. Jahrhunderts – von John Cage, Giacinto Scelsi, Morton Feldman oder Ingram Marshall – ambivalente Stimmungen, z.B. in den Traum- und Wahn-Sequenzen. Im Folgenden sollen Korrespondenzen zwischen einigen dieser Musiksprachen und dem opaken Unterbewusstsein des geisteskranken Protagonisten Edward (Teddy) Daniels/Andrew Laeddis aufgezeigt werden. Im Wechsel- und Zusammenspiel mit Noirfilm- und Filmmusik-Stilkopien und Referenzen auf weitere Medien, sowie durch Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg und auf die politische Situation der USA in den 1950er sowie 2000er Jahren wird ein verwinkelter Plot, ein Labyrinth aus fragmentarischen Binnen- Narrationen konstruiert, unterlegt mit Subtexten aus persönlichen und kollektiven Schicksalen und Verschwörungstheorien. Dessen Artifizialität, obwohl fast durchgehend augen- (und ohren-)fällig, wird erst in der Retrospektive, in Kenntnis des twist ending, plausibel.
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